Vor wenigen Tagen habe ich hier angekündigt, dass ich zu einem exklusiven Pressefrühstück der Stiftung Rechnen und Bettermarks eingeladen wurde. Was ich erlebt und erfahren habe, berichte ich euch nun hier.
Aufregend fing es schon am Eingang des Eugen-Gutmann-Hauses an, dem repräsentativen Sitz der Dresdner Bank. Ich betrat filmend die Eingangshalle und habe den Pförtner ignoriert. Dieser folgte mir aufgeregt. Er wollte wissen wohin ich des Weges war und durchsuchte meine Tasche. Danach geleitete er mich zum Fahrstuhl und ich fuhr bis ins Dachgeschoss.
Dort angekommen, meisterte ich die nächste Hürde – die Anmeldung. Wie immer wurde ich nach meinem Namen gefragt. Doch was dann geschah, habe ich bisher noch nicht erlebt. Die Empfangsdame entschuldigte sich bei mir, dass auf meinem Namensschild „Unbekannt“ stand und fragte, ob ich denn damit leben könne. Ich musste mir in dieser Situation echt das Lachen verkneifen. Ich sagte nur: „Ja, kann ich, schließlich trage ich den Namen schon 21 Jahre.“
Bis die Pressekonferenz dann pünktlich begann, konnte man sich an einem kleinen süßen Frühstücksbuffet stärken und schon erste Kontakte knüpfen. Ich habe die Zeit genutzt um ein paar Eindrücke festzuhalten und auf die Kollegen von Bettermarks zu warten. Leider kam keiner, den ich persönlich kannte. Also habe ich das Spektakel allein genossen.
Pünktlich 9:30 Uhr wurden knapp 30 geladene Personen aus Rundfunk und Presse und dem Bildungsbereich in den Konferenzraum geführt. Redner der Konferenz waren: Johannes Friedemann, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Stiftung Rechnen, Michael Mandel, Vorstandsvorsitzender der Comdirect Bank, Professor Manfred Güllner, Gründer und Geschäftsführer des Forsa-Instituts und Arndt Kwiatkowski, Geschäftsführer von Bettermarks.
Angefangen hat Manfred Güllner, der einige interessante Ergebnisse der Studie Rechnen in Deutschland präsentierte. Bundesweit wurden für diese Erhebung 1370 Schüler aller Schulformen ab Klasse 5, 1029 Eltern mit schulpflichtigen Kindern und 1057 Personen im Alter von 18-65 Jahren befragt. Untersucht wurde die Einstellung der Deutschen zum Rechnen und zur Mathematik, die Förderung der mathematischen Bildung im Elternhaus, die Selbsteinschätzung der Rechenfähigkeit sowie die Bedeutung, die der Rechenkompetenz von der Bevölkerung beigemessen wird.
Grundsätzlich kam in der Befragung heraus, dass 95% der Deutschen und 89% der Schüler glauben, die mathematische Kompetenz ist für eine erfolgreiche Lebensführung wichtig. Obwohl Vielen die Bedeutung mathematischer Bildung bewusst ist, haben 20% aller Kinder im letzten Schuljahr in Mathe eine 4 erhalten. Ebenfalls interessant ist, dass 68% der befragten Schüler ab Klasse 7 Mathematik als eines der wichtigsten Fächer erachten, wobei nur rund die Hälfte der Mädchen und zwei Drittel drei Viertel der Jungs dieser Meinung waren.
Ich fragte mich, wie ist in der heutigen Zeit zu erklären, dass Mädchen immer noch weniger Interesse an Mathe zeigen als Jungen? Eine Antwort darauf gibt die Studie nicht. Hier kann man nur spekulieren. Meine Vermutung ist ja die, dass man über eine Gender- und Schülerorientierung die Begeisterung für das Fach wecken kann. Wie wäre es, wenn die Verlage und Lehrer Aufgaben stellen, die nah an der Lebenswelt der Schüler sind? Ich kann gut nachvollziehen, dass man sich als Schüler Aufgaben gegenüber sperrt, wenn sie zu abstrakt oder zu lebensfern erscheinen. Was bringt es einem Schüler, wenn er berechnen kann wie viel Liter Wein eine Winzergenossenschaft produziert, die 20.000 l Maische verarbeitet?
Ergo sollte man sich überlegen, wie man didaktisch den Matheunterricht für alle Schüler, Mädchen und Jungen, attraktiv und spannend gestaltet. Nicht nur in der Grundschule sollte die Freude zum Zahlenverständnis vermittelt werden, sondern in der Sek I und II fortgesetzt werden. Jedoch kongruent zum abstrakten Stoff werden auch die Aufgaben abstrakt und die Schüler verlieren die Freude an der Mathematik. Ich zum Beispiel habe bis heute nicht verstanden, warum ich Vektoren im Raum berechnen können muss. Mein Mathelehrer hat mir nie ein Alltagsbeispiel präsentieren können. Also fragte ich mich, wozu muss ich das berechnen können? Ab Klasse 11 hatte ich bei so manchen Mathestunden das Gefühl, ich sitze in einer Beschäftigungstherapie.
Doch nun wieder zurück zur Studie. Die Rechenkompetenz ist nicht nur in der Schule, Uni oder im Berufsleben wichtig, sondern kann auch im Alltag oder in der Freizeit eine Rolle spielen. Nur 37% der befragten Schüler befassen sich unabhängig vom Mathematikunterricht in ihrer Freizeit mit Rechnen. Das hört sich erschreckend wenig an, aber ich glaube man sollte die Aussage relativ betrachten. Was ist die Ursache? Vermutlich liegt es daran, dass viele dieser Schüler im Fach versagen und eben keinen Spaß am Rechnen haben. Warum sollten sie sich dann in ihrer Freizeit mit etwas belasten, was keine Freude bereitet? Allerdings glaube ich, dass manche vielleicht gar nicht bewusst mitbekommen mit wie viel Mathematik sie sich in ihrer Freizeit befassen. Ein Großteil der Jugendlichen, die Taschengeld bekommen, berechnen sicher, was sie sich davon leisten können oder im Sport werden Spielergebnisse analysiert und Differenzen berechnet. Aber ob sie in dieser Situation mitbekommen, dass sie sich gerade mit Mathematik beschäftigen, wage ich zu bezweifeln. Deshalb sollte man das Ergebnis dieser Frage objektiv sehen.
Dass man sich aber kreativ und mit Freude in der Freizeit mit Mathe befassen kann, zeigen viele bewährte und neue Projekte. Zum einen gibt es seit 1995 den bekannten Känguruh-Mathematik-Wettbewerb und zum anderen versuchen E-Learningsysteme wie Bettermarks, Sofatutor, Scoyo, Toobrain oder Oberprima über einen neuen Kanal, dem PC und dem Internet, Interesse an Mathematik zu wecken.
Mein persönliches Fazit: Es war ein erkenntnisreiches und genussvolles Frühstück. Langsam aber sicher wird durch solche Aktionen und Stiftungen das Um- bzw. Neudenken der Bildungspolitik vorangetrieben. Ich bin positiv überrascht, dass Wirtschaftsunternehmen trotz Wirtschaftskrise, in diesem Fall die Comdirect Bank, sich der gesellschaftlichen und sozialen Verantwortung bewusst sind. Auch wenn meine Interessen eher den Geisteswissenschaften zugeneigt sind, so hoffe ich doch, dass das Image von Mathematik einen positiven Touch erhält. Wie sich „Rechnen in Deutschland“ entwickeln wird, werde ich weiter verfolgen. Auch bin ich gespannt, welche Projekte in den kommenden Jahren die Stiftung Rechnen durchführen wird.
Hi Melanie,
erst mal eine mathematische Stellungnahme 😉
„Ebenfalls interessant ist, dass 68% der befragten Schüler ab Klasse 7 Mathematik als eines der wichtigsten Fächer erachten, wobei nur rund die Hälfte der Mädchen und zwei Drittel der Jungs dieser Meinung waren.“
2/3 sind ja 66,7% und rund die Hälfte sind ja 50%. Weil aber beide Werte unter dem Gesamtwert von 68% liegen, muss da jemand die Statistik „gefälscht“ haben, denn selbst wenn nur Jungs befragt worden wären, hätte der Anteil der Schüler, die Mathematik als eines der wichtigsten Fächer betrachten, maximal bei 2/3, also bei 66,67% liegen können 😉
Witzig finde ich, dass Du die „Maische-Aufgabe als „realitätsfern“ einstufst – ich hab die Aufgabe vor Urzeiten einmal verfilmt:
http://www.oberprima.com/index.php/nachhilfevideo-msa-2006-aufgabe-2/nachhilfe Dazu will ich gleich sagen, dass die bei mir auch nicht unbedingt den absoluten Realitätsnerv trifft, und dass mir Sauf-Aufgaben für die Mittelstufe auch irgendwie suspekt sind…aber es liegt wohl auch daran, dass ich nicht in einem Wein-Land geboren bin 😉
„Ab Klasse 11 hatte ich bei so manchen Mathestunden das Gefühl, ich sitze in einer Beschäftigungstherapie“
Ja, so hab ich mich auch oft gefühlt 😉 und habe dann als Nachhilfelehrer den Standpunkt eingenommen: „(Schul-)Matheaufgaben sind (manchmal) wie Kreuzworträtsel und das beste, was man kurzfristig vom Mathelernen hat, sind bessere Noten“. Letzteres ist nämlich meiner Erfahrung nach das, was den meisten Schülern sofort einleuchtet: Wenn ich gezwungen bin, Mathe zu machen, dann mach ich das, um eine gute Note zu bekommen, denn nur die Note schließt mir hinterher die Tür der vielen Möglichkeiten zur Lebensgestaltung auf.
LG
OLaf
Sorry Olaf, du hast Recht, es musste drei Viertel heißen. Ich habe den Artikel dementsprechend korrigiert.